Mittwoch, 8. Februar 2012

42 Jahre und 8,3 Monate

Vielleicht ist es eine Begleiterscheinung des Älter werdens (gemäss Bundesamt für Statistik sind 44,93 % meiner Zeit abgelaufen), aber bestimmt sind es die Ereignisse der vergangenen Wochen, die mich dazu gebracht haben, Erreichtes und Unerreichtes bewusster wahrzunehmen und z. T. kritisch zu hinterfragen. Auf vieles bin ich bescheiden stolz, ein paar Sachen würde ich heute gerne ungeschehen, anders oder gar nicht machen. Aber es ist, wie es ist,... schauen wir nach vorne.

Nun bin ich vorgestern über einen interessanten Artikel von Bronnie Ware gestolpert, welche während acht Jahren als Palliativpflegerin gearbeitet hat. In ihrer Tätigkeit hat sie Sterbende in den letzten Wochen ihres Lebens begleitet und wurde in zahlreichen und ausführlichen Gesprächen Zeugin, was Menschen im allerletzten Lebensabschnitt bewegt. Dabei hat sie nicht nur festgestellt, dass Menschen, die mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert werden, innerlich wachsen sondern auch die breite Emotionspalette kennen gelernt, die in den letzten Momenten eines Menschen hochkommen. Ärger, Wut, Reue und meistens ein Rückblick auf das eigene Leben verbunden mit den Gedanken, was man lieber anders gemacht hätte.

Hier die fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen:
  1. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben: «Wenn Menschen realisieren, dass sich ihr Leben dem Ende neigt, ist es einfach zu sehen, wie viele Träume unerfüllt verpufft sind. Die meisten der Sterbenden, die ich begleitet habe, hatten nicht einmal die Hälfte ihrer Träume verwirklicht und mussten mit der Gewissheit sterben, dass sie selber dafür verantwortlich waren: Weil sie gewisse Entscheidungen gefällt oder eben nicht gefällt hatten. Statt auf ihre eigenen Bedürfnisse zu hören, hatten sie das Leben gelebt, das andere von ihnen erwartet hatten.»

  2. Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet: «Jeder männliche Patient, den ich in den Tod begleitet habe, hat diesen Satz gesagt. Sie bedauerten, die Kindheit ihres Nachwuchses und die Gesellschaft ihrer Partner verpasst zu haben. Zwar äusserten auch Frauen dieses Bedauern, aber weil die meisten von ihnen einer älteren Generation angehörten, waren nur wenige vollberuflich engagiert gewesen. Aber die Männer bereuten ausnahmslos so viel Zeit ihres Lebens in den Tretmühlen der Arbeitswelt verbracht zu haben.»

  3. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meine Gefühle auszudrücken: «Viele Menschen mit denen ich zu tun hatte, haben ein Leben lang ihre Gefühle ‹der Harmonie willen› unterdrückt. Was dazu führte, dass sie sich mit einem mittelmässigen Dasein zufrieden gaben und sie sich nie zu jenem Menschen entwickeln konnten, der sie wirklich sein wollten. Ich denke, viele Krankheiten sind auf diese Verbitterung und Unzufriedenheit zurückzuführen.»

  4. Ich wünschte, ich wäre mit meinen Freunden in Kontakt geblieben: «Viele meiner Patienten erkannten erst in ihren letzten Wochen, wie wertvoll ihre Freundschaften waren. Aber sie waren dermassen von ihrem Leben eingespannt gewesen, dass sie ihre Freunde während Jahren vernachlässigt oder ganz aus den Augen verloren hatten. Und jetzt, als sich ihr Leben dem Ende neigte, war es teilweise leider unmöglich diese alten Freunde ausfindig zu machen, um sie noch einmal zu sehen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass jeder Sterbende seine Freunde von früher vermisst.»

  5. Ich wünschte, ich hätte mir erlaubt, glücklicher zu sein: «So viele Menschen realisieren erst am Ende, dass das Glücklichsein eine persönliche Wahl ist. Statt sich für das Glück zu entscheiden, bleiben viele in alten Mustern und Gewohnheiten gefangen. Die Angst vor Veränderung brachte sie so weit, während Jahren ihrem Umfeld und auch sich selber vorzugaukeln, dass sie zufrieden mit ihrem Leben seien. Obwohl sie sich tief in ihrem Innern danach sehnten, von Herzen zu lachen und wieder echten Spass in ihr Leben zu lassen.»
Mmh,... doch,... es gibt ein paar Dinge, die ich ändern muss/will: Ab morgen werde ich (noch) mehr auf meine eigenen Bedürfnisse hören, erst gegen Mittag im Büro auftauchen, meine Gefühle nicht mehr unterdrücken, alte Freundschaften intensivieren und für ein paar Veränderungen sorgen (im Weinkeller fange ich an).

Mann oh Mann,... das klingt nach Spass für die nächsten 42 Jahre und 8,3 Monate!

15 Kommentare:

  1. Punkt 2 hat in mir einen inneren Reichsparteitag ausgelöst, als ich das gelesen habe.

    Und was mich betrifft:
    ICH brauche jetzt für morgen ein neues post-Thema ;-).

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    1. Ich brauche jetzt erst mal einen Schluck Wein. Zum Wohl, Herr Miracle Man!

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  2. Ich pflege ja eine einfache Lebensweisheit mir zu eigen zu machen:
    Man lebt nur einmal, und das noch viel zu kurz.

    Ich möchte später meinen Enkeln von dem Leben erzählen das ich gelebt HABE. Und nicht von dem das ich gerne gelebt HÄTTE.

    Simple as that.
    Just do it.


    PS: Wenn Sie vielleicht noch ein Plätzchen im Weinkeller für mich hätten?

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    1. Genau das ist es, klingt eigentlich ganz einfach! Der Weinkeller ist zu kühl, wenn dann im Wohn- oder Esszimmer!

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  3. Das stimmt schon sehr nachdenklich.

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    1. Ach was, es ist nie zu spät etwas zu ändern! Man muss es nur tun!

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  4. Auch wenn ich noch nicht (wissentlich) kurz vor meinen Tod stehe habe ich mir diese Gedanken in letzter Zeit ziemlich häufig gemacht. Immer mit dem festen Vorsatz, dass es ab sofort anders laufen muss. Bevor ich (noch mehr) im Leben viel zu viele Dinge für oder wegen anderen mache.

    Allein die Umsetzung gelingt mir nicht so recht. Noch nicht.
    Ich sollte ein bisschen Gas geben. 42 Jahre werden mir vermutlich nicht mehr bleiben...

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    1. Frauen haben eine längere Lebenserwartung (+ 5 Jahre), von daher haben Sie ev. noch nichts verloren. Und ja, der Hund ist in der Umsetzung begraben, sehe ich auch so. Aber alleine das Erkennen des Potentials ist wertvoll.

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  5. Das regt eine wirklich zum Nachdenken an.
    Ich sage mir nahezu jeden Tag: sitz nicht zu viel zu Hause, Lernerei kann auch warten. Du bist nur ein Mal jung!
    Aber dann denk ich... Das ist doch mein Leben, ich habe mich dafür entschieden. Und dann wieder: War das die richtige Enscheidung?!

    Es ist ein Teufelskreis.

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    1. Ein schöner Teufelskreis,... insbesondere in jungen Jahren und Sie sind ja noch etwas jünger als ich. Lernen ist wichtig und dauert ein Leben lang,... lerne ich jeden Tag!

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  6. Auch wenn das vermessen klingt, die oben genannten Fehler habe ich schon länger ausgemerzt, dafür habe ich dann andere, die mein Lebensglück blockieren. Gefühle zeige ich vollkommen offen, wozu sich hier Schranken auferlegen? Arbeit hat den Stellenwert, den sie haben soll, sie ermöglicht mir meinen Lebensstil, insoweit pflege ich sie und gut. Freundschaften pflege ich mit Sorgfallt und Glücklich bin ich meistens. Mein Leben habe ich so gelebt, daß ich heute schon bedenkenlos ableben könnte, ich habe mir vieles gegebe und erlaubt, unkonventionell leben erfordert eine gehörige Portion Mut - und auch Gleichmut. Wichtig ist mir nur, was meine Lieben von mir halten, der Rest ist mir wurscht.

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    1. Sie Glückspilz!!! Dann genießen Sie die nächsten 50 Jahre oder so...

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  7. Ich mache es ähnlich wie Vanilla - ich arbeite, um leben zu können, mehr nicht. Und ich mache nur noch das, was ich vor mir selbst vertreten kann. Ich freu mich jedenfalls auf meine nächsten 40 Jahre!

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    1. Sehr schön, ich sehe im Alter wird man weiser (oder vorsichtiger). Dann viel Spass bei den nächsten 40+ Jahren...

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    2. Mit Dankbarkeit kann ich sagen, dass ich keinen der oben genannten Punkte auf meinem Sterbebett bereuen muss. Ich würde einiges in Jugendtagen (mit dem Wissen von heute) anders machen, aber bereuen?... nein. Eines meiner Lebensmottos: "deine erste Pflicht ist es dich selbst glücklich zu machen. Bist du glücklich, machst du auch andere glücklich". Und damit lebt man sehr gut in Bezug auf Leben,Arbeit und Freundschaften. Gruß von kunstecht

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