Der Spiegel hatte in der Ausgabe 35/2012 einen tollen Bericht zum Thema "
Das Geheimnis des iPhones" (von Uwe Buse) und ich muss sagen, dass er
meine Entscheidung betr. nächstem Smartphone beeinflusst, obwohl ich heute Morgen durch meinen Provider informiert wurde, dass ich das iPhone 5 ab sofort bestellen kann.
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Im September soll das neue Smartphone von Apple auf den Markt kommen. Wer wissen will, was in seinem Gerät steckt und wie es den Menschen geht, die es produzieren, darf nicht auf die Hilfe der Firma bauen. Eine Inspektion von Uwe Buse Demnächst wird Apple das neue iPhone präsentieren, und ich überlege, ob ich es mir kaufen soll. Das ist keine einfache Entscheidung, denn Apple ist keine einfache Firma. Apple erschafft außergewöhnliche Produkte, aber das Unternehmen ist nicht besonders sympathisch. Es ähnelt einem genialen Künstler, den man als Menschen nur schwer ertragen kann, weil er ein geiziger Egomane ist, der sich nicht um das Schicksal anderer Menschen schert. Und das schmälert die Freude an seinem Kunstwerk. Oder tut es das nicht?
Das aktuelle iPhone, das 4s in Schwarz, habe ich mir gekauft, und ich mochte es anfangs sehr, es lag gut in der Hand, schwer, aber nicht zu schwer. Ich mochte seine makellose, glänzende Oberfläche, den Schalter unter dem Display, der scheinbar fugenlos dort sitzt, das satte Einrasten der Mute-Taste, die das Telefon stumm schaltet. Ich kann dieser Hingabe ans Detail viel abgewinnen.
Nach dem Auspacken habe ich den ersten Abend damit verbracht, Siri Fragen zu stellen. Siri ist die digitale Concierge des iPhones, sie ruft auf Zuruf Leute an, schreibt SMS und E-Mails. Siri ist korrekt im Auftritt, steht zu ihren Grenzen und hilft manchmal auch bei philosophischen Fragen.
"Siri, wer bist du?"
"Es ist unwichtig, wer ich bin."
"Gibt es einen Gott?"
"Auf solche Fragen bin ich wirklich nicht eingestellt."
"Was ist der Sinn des Lebens?"
"Alles spricht dafür, dass es Schokolade ist."
Siri steht für das, was ich an Apple schätze. Zwei Schrauben an der Unterkante des iPhones stehen für das, was mich an Apple stört.
Ich nehme Apple diese beiden Schrauben wirklich übel, denn meiner Meinung nach erwirbt man mit dem Kauf eines Produkts auch das Recht, es so zu behandeln, wie man möchte. Man kann sorgsam mit ihm umgehen, nachlässig, man kann es mutwillig zerstören, und es sollte auch möglich sein, das Gerät zu öffnen. Einfach, um herauszufinden, wie es darin aussieht.
Ich habe einmal den Motor eines Motorrads ausgebaut, zerlegt und wieder zusammengebaut. Dabei habe ich ein paar Dinge gelernt und ein paar Teile überbehalten, was langfristig nicht erfreulich war und zu einem teuren Werkstattbesuch führte. Aber es war meine Entscheidung. Ich bin der Meinung, mit dem Kauf eines Produkts erwerbe ich auch das Recht, es zu ruinieren. Apple sieht das offenbar anders.
Um mein iPhone zu öffnen, muss ich die zwei Schrauben zu beiden Seiten des Dock-Anschlusses lösen, und das ist schwierig, denn es sind keine gängigen Schrauben, keine Kreuzschlitzschrauben, keine Inbusschrauben, auch keine Torxschrauben.
Torxschrauben sind sternförmig, mit sechs Zacken, die am iPhone sind blütenförmig, mit fünf runden Ausbuchtungen, und sie heißen
Pentalobschrauben.
Aber ich besitze keinen Pentalobschraubenzieher, ich kenne auch niemanden, der einen besitzt, ich kenne nicht einmal Leute, die wissen, dass Pentalobschrauben existieren. Deswegen fragte ich Experten, in einem Baumarkt, bei Hornbach: "Ich brauche einen Pentalobschraubenzieher, einen kleinen. Kann ich den bei Ihnen finden?"
Verkäufer: "Einen was?"
Ich fuhr zu Obi, hörte: "Nee, ham wa nicht, kenn ich auch nicht."
Zu Praktiker: "Vielleicht gibt's die ja im Internet."
Ich habe mir dann den Schraubenzieher plus zwei kleine Kreuzschlitzschrauben plus einen passenden Kreuzschlitzschraubenzieher aus den USA schicken lassen. Von Ifixit.com. Für 9,95 Dollar plus Fracht. Ifixit.com vermarktet das Werkzeug als "iPhone 4 Liberation Kit".
Unter der Rückseite des iPhones sah es sehr aufgeräumt aus. Links oben steckt die iSight-Kamera, danach folgen der Speicher-Chip, der Doppelkernprozessor, die Batterie, noch eine Kamera, der iPhone-eigene Vibrator, die Hauptplatine. Das sind die wichtigen Bauteile, hinzu kommen noch das Display plus Gehäuse plus Touchscreen. Ich hatte gedacht, es wäre mehr drin in so einem Telefon, bei dem, was es alles kann.
Ich würde gern wissen, was die Bauteile kosten. Ich würde auch gern wis-sen, wer sie montiert und wie diese Männer und Frauen leben, wie sie behandelt werden von ihrem Arbeitgeber.
Zu den Kosten sagt Apple wenig. Die Firma feiert sich dafür, eine Liste ihrer Zulieferer veröffentlicht zu haben, die nichts weiter ist als eine Liste. Ein Haufen Namen von Unternehmen, aber keine Angaben zu den Produkten, die sie für Apple herstellen, keine Angaben zu den Bedingungen, unter denen diese Produkte gefertigt werden, und schon gar nichts zu Preisen.
Aber die Marktforscher von iSuppli, einer US-amerikanischen Firma, die sich auf den Elektronikmarkt spezialisiert hat, die sagen etwas. Die Forscher zerlegen elektronische Geräte kurz nach ihrem Erscheinen, sie versuchen, die Herkunft der einzelnen Bauteile zu ermitteln, und schätzen, was Firmen wie Apple für diese Bauteile zahlen dürften.
Die Kamera in der Rückseite stammt von Sony und soll nach Schätzungen von iSuppli 16,40 Dollar kosten. Der Flash-Speicher soll 19,20 Dollar kosten und stammt von Hynix, einem Halbleiterhersteller aus Südkorea. Der Application-Prozessor stammt von Samsung und kostet vermutlich rund 15 Dollar. Ebenfalls von Samsung, hergestellt für etwa 9,20 Dollar, der SDRAM-Speicher-Chip. Von Qualcomm aus Kalifornien stammt der Baseband-Prozessor für 9,07 Dollar. Amperex Technology aus Hongkong liefert die Batterie, sie soll Apple schätzungsweise 6,19 Dollar kosten. Und Murata, ein japanisches Unternehmen, verkauft wohl für 5,90 das WLAN-Modul. Weiter ist da das Display für 23 Dollar, das Gehäuse und der Touchscreen für jeweils 14 Dollar.
Insgesamt belaufen sich die Materialkosten auf 189 Dollar, umgerechnet sind das 150 Euro. Verkauft wird ein iPhone 4s mit 16 Gigabyte Speicher in Deutschland für rund 600 Euro.
Natürlich gibt es weitere Kosten. Programmieren, Forschen und Entwickeln, Lizenzgebühren, Verpacken (ganz wichtig) und der Vertrieb, aber auch wenn das alles bezahlt ist, bleibt sehr viel Geld übrig.
Apple ist zurzeit die wertvollste Firma der Welt. Eine einzelne Aktie kostete in der vergangenen Woche 670 Dollar, die gesamte Firma würde mehr als 620 Milliarden Dollar kosten. Für diese Summe könnte man die Top Ten der deutschen Börse kaufen, also Siemens, SAP, Daimler, Volkswagen unter anderem.
Apple hat allein im ersten Halbjahr dieses Jahres einen Gewinn von 20 Milliarden Dollar erzielt, im vergangenen Geschäftsjahr 26 Milliarden, und der Topseller war, wieder mal, das iPhone. 47 Millionen wurden weltweit verkauft. Über das Internet, über Telefonanbieter wie die Telekom und natürlich auch in den Apple Stores, die ich genauso wenig leiden kann wie Pentalobschrauben.
Mir geht die Inszenierung der Geräte in den Stores auf die Nerven, die Art und Weise, wie Apple den Kauf seiner kleinen und großen Computer feiert, denn der Kauf dieser Dinge ist ja in Wahrheit eine ziemlich profane Angelegenheit. Geld wechselt den Besitzer. Mein Geld. Ich sehe keinen Grund, warum ich das feiern sollte.
Eine Feier wert könnte dagegen das Entstehen eines Produkts sein, seine Herstellung, Montage, die Transformation von Plastik und Metall in etwas Schönes. Der Motorradhersteller Ducati ist sich dessen bewusst und bietet Werksbesichtigungen an, Lamborghini auch, sogar VW, auch wenn ich nicht so recht weiß, warum.
Apple macht so was nicht. Apple behandelt die Orte, an denen seine Geräte montiert werden, als No-go-Areas. Besucher sind dort nicht erwünscht, es gibt bei Apple offenbar nichts zu feiern außer Verkauf und Gewinn.
Zusammengebaut werden iPhones von Apples wichtigstem Zulieferer, die Firma hat ihren Sitz in Taiwan, ihre Werke stehen in China, sie heißt Foxconn. Foxconn ist ein Auftragsfertiger, eine Art Söldner der Weltwirtschaft. Foxconn fertigt für jeden, der seine Dienste will und sie bezahlen kann, und viele in der Elektronikbranche wollen Foxconns Dienste, selbst wenn sie direkte Konkurrenten sind.
2011 fertigte Foxconn die Playstation für Sony, die Xbox 360 für Microsoft und für Nintendo die Wii. Foxconn fertigt Computer, für Hewlett-Packard, für Dell. Foxconn baut Handys und Smartphones für Nokia, Motorola, Acer, BlackBerry, LG, Sony, Lenovo und Orange.
Foxconn kann von sich sagen, mit 1,2 Millionen Beschäftigten das größte private Unternehmen Chinas zu sein. Schätzungen gehen davon aus, dass 40 Prozent aller Computer, von Desktops bis zu Smartphones, von Foxconn oder mit Bauteilen von Foxconn montiert werden.
Der Gründer und Miteigentümer von Foxconn ist Terry Gou, geboren in Taiwan, ein mehrfacher Milliardär, das Wirtschaftsmagazin "Forbes" führt ihn auf Platz 184 der reichsten Menschen der Welt. Er gründete seine Firma 1974 in einem Schuppen, mit 7500 Dollar, die er sich von seiner Schwiegermutter geliehen hatte. Das erste Produkt, das Foxconn herstellte, waren Plastikverkleidungen für Fernseher, sie waren nicht schön, sondern funktionell.
Terry Gou ist kein Ästhet, er ist mehr ein Mann fürs Grobe, der Dieter Bohlen der Computerindustrie, und wie Bohlen berühmt für seine Zitate: "Wer hungrig ist, denkt besonders klar", "Arbeit an sich ist gleichzusetzen mit Freude" oder auch: "Es ist einfach, eine Armee mit tausend Soldaten aufzustellen, einen einzigen General zu finden, ist dagegen schwierig."
Seine Erkenntnisse sieht Gou gern in Büchern publiziert, das ist sein Weg, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren, Interviews gibt er selten, er arbeitet gern ungestört, und diese Möglichkeit will er auch den Arbeitern an seinen Fließbändern bieten, auch deshalb gibt es keine Werksbesichtigungen bei Foxconn.
iPhones werden in mehreren Foxconn-Werken montiert, eines liegt im Norden von Shenzhen, einer Retortenstadt in Südchina, Mittelpunkt des größten industriellen Komplexes der Welt, im Auftrag der Kommunistischen Partei hineingerammt in die grünen Hügel im Delta des Perlflusses. 90 000 Menschen arbeiten in diesem Werk.
Gegen fünf Uhr am Nachmittag öffnen sich die Hallentore, und aus klimatisierten Hallen strömen junge Männer, junge Frauen ins Freie. Erst sind es Dutzende, dann Hunderte, binnen Minuten schwillt der Strom an zu Tausenden, die sich ergießen über zwei Fußgängerbrücken und dann die Straßen fluten, die engen Gassen, die Garküchen besetzen, Fastfoodshops, Spielhallen, die in die Kaufhäuser vordringen, und einer ist Liu Qingsong, ernst, jung und Anfang zwanzig, wie fast alle hier.
Er geht in eine enge, laute Seitenstraße und steht ein paar Minuten später vornübergebeugt an einem Billardtisch. In 15 Stunden muss er wieder ans Fließband, und er ist entschlossen, seine Freizeit so effektiv wie möglich zu nutzen. Erst Billard mit zwei Freunden, dann was essen, dann was trinken. Das ist der Plan. Oder erst was trinken und dann was essen. Oder nur was trinken.
Liu kam vor einem guten Jahr nach Shenzhen, aus Hunan, einer der armen Provinzen im Norden. Zwischen zwei Billardstößen sagt er, er wusste schon vor seiner Reise, dass Shenzhen nicht das gelobte Land sei und sein künftiger Arbeitgeber kein Wohltäter. Er sagt, er wusste, was ihn erwartete.
Sechs Tage Arbeit die Woche. Am Fließband. Sechs Tage lang mindestens acht Stunden am Tag die gleichen Bewegungen.
Lius Aufgabe ist es, ein schmales Seitenteil des iPhones zu überprüfen, nachdem es von einer Maschine geschliffen wurde. Es beginnt damit, dass er Schrauben löst, das Bauteil aus der Spannvorrichtung nimmt, die Korrektheit des Oberflächenschliffs kontrolliert; korrekt geschliffene Gehäuseteile legt er auf das Fließband, nicht korrekte in eine Kiste neben dem Fließband.
Dann geht es wieder von vorn los: Schrauben lösen, Bauteil herausnehmen, Schliff kontrollieren.
Die Arbeitstage von Liu und seinen Freunden beginnen um kurz vor acht. Sie betreten die Fabrik durch ein Tor, legen ihre Firmenausweise auf einen Scanner, er piept kurz, ein grünes Licht leuchtet auf, und sie gehen hinein.
Es folgt die Morgenbesprechung, ein Schichtleiter verkündet die Leistung des vergangenen Tages und was heute erwartet wird, dann geht es ans Band.
Nach zwei Stunden die erste Pause, 20 Minuten lang. Gegen 13 Uhr folgt die Mittagspause, eine Stunde, und dann, am Nachmittag, eine weitere Pause, wieder 20 Minuten lang. Sind keine Überstunden zu leisten, enden die Arbeitstage um fünf Uhr am Nachmittag, und der Exodus beginnt. Liu sagt, er habe früher in einem Restaurant gearbeitet, dort habe er weniger verdient als heute, 1000 Yuan, umgerechnet 125 Euro, anstelle von 2500 Yuan, und er habe weniger Freizeit gehabt. Eigentlich habe er im Restaurant immer gearbeitet.
Was Liu verschweigt, aus Angst um seinen Arbeitsplatz, sind die Überstunden, mehr als 36 im Monat, das gesetzliche Limit in China, sind keine Seltenheit bei Foxconn, mehr als 100 möglich. Liu verschweigt auch den harschen Ton, der bei Foxconn herrscht und ans Militär erinnert - und er verschweigt 17 Tote.
Drei kamen bei einer Explosion um, in einem anderen Werk, in Chengdu (siehe SPIEGEL 22/2011). iPad-Gehäuse werden dort poliert, der Aluminiumstaub, der in der Luft hing, hatte sich entzündet.
14 brachten sich um, im Jahr 2010, sie sprangen vom Dach ihrer Wohnheime. Vier weitere versuchten es, und eine von ihnen war Tian Yu, 17 Jahre alt, ein schüchternes Mädchen aus der Provinz Hubei.
Sie verließ ihr Zuhause, weil sie sich mehr vom Leben erhoffte, als die Tochter eines Bauern und einer Bäuerin zu sein, sie ging in die große Stadt, nach Shenzhen, und landete an einem der Fließbänder von Foxconn.
Ihre Aufgabe war es, die Oberfläche von Bildschirmen auf Kratzer und andere Mängel zu kontrollieren. Zehn Stunden am Tag, alle paar Sekunden ein neues Display. Wenn sie nicht arbeitete, saß sie in ihrem Wohnheim, das sich auf dem Firmengelände befindet. Sie verließ das Werk nicht ein einziges Mal, Shenzhen, mit seinen Autobahnen, seinen Hochhäusern, seinem Lärm, der Hektik, schüchterte sie ein.
Nach einem Monat erwartete sie ihr erstes Gehalt, sie brauchte es dringend, ihre Ersparnisse gingen zur Neige, aber es gab kein Geld, irgendetwas war schiefgelaufen, und im Verwaltungstrakt ließen Bürokraten sie wissen, dass sie sich selbst um dieses Problem zu kümmern habe.
Tian Yu fuhr mit dem Bus in ein anderes Werk, nach Guanlan, dort sollte sie ihr Gehalt ausgezahlt bekommen, aber es gab wieder nichts, und abends saß sie dann in ihrem Wohnheim, ohne Geld, mit einem defekten Handy, ohne Freunde, so erzählt sie es. Sie fühlte sich allein und verlassen.
Am nächsten Morgen, gegen acht Uhr, stieg sie die Treppe hoch zum Dach, ging an den Rand und sprang. Sie kann nicht wirklich erklären, warum. Es war ein Impuls, sagt sie, es geschah aus dem Augenblick heraus. Beim Aufprall brach ihre Hüfte viermal, ihr Rückgrat an drei Stellen.
Foxconns Mitgefühl hielt sich in engen Grenzen. Der Konzern ließ Netze spannen, die weitere Selbstmörder stoppen sollten, auch hielt es das Unternehmen für sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass die Selbstmordquote unter seinen Arbeitern niedriger sei als die der chinesischen Gesamtbevölkerung.
Tian Yu ist jetzt vom Bauch abwärts gelähmt, von Foxconn erhielt sie schließlich eine Entschädigung, 180 000 Yuan, umgerechnet knapp 23 000 Euro. Mit dem Geld bezahlte sie ihre Ärzte, ihre Operationen, Medikamente. Heute lebt Tian Yu wieder bei ihren Eltern und verdient ihren Lebensunterhalt mit der Herstellung von Schuhen, sie fertigt Sandalen, in Heimarbeit. Ihr Rat an andere Wanderarbeiter, nicht überraschend: Geht nicht zu Foxconn.
Ein ausgesprochen schlechter Rat, dieser Meinung ist Yang Tianwei. Er sitzt kurz vor elf Uhr am Abend in einem Straßenrestaurant, vor ihm steht ein Bier, das Glas ist halbvoll, er tippt auf seinem Handy herum, es ist ein Smartphone, ein Nokia E71. Wie Tian Yu ist er jung, auch er steht am Band bei Foxconn, aber er gehört nicht zu den Pragmatikern wie Liu, nicht zu den Verzweifelten wie Tian Yu, Yang Tianwei ist ein Optimist und Profiteur, zumindest sieht er selbst sich so.
Spricht Yang über Foxconn, dann spricht er nicht von Ausbeutung, nicht von Schikanen der Vorgesetzten, von Willkür, Inkompetenz, er spricht von Chancen, die sich ihm bieten, in Shenzhen, bei Foxconn.
Er sagt, er habe nichts gegen Überstunden, je mehr, desto besser, deswegen sei er schließlich hergekommen, er will Geld machen, möglichst viel in möglichst kurzer Zeit, um dann bei Foxconn zu kündigen und seine eigene Firma aufzumachen. Mit Textilien will er handeln, im Internet, in großen Mengen, "business to business, you know". Den Internetshop lässt er sich gerade bauen. Yang ist ein Proletarier mit der Weltsicht eines FDP-Mitglieds und der Ausdauer eines Marathonläufers. Nachts um zwei kann man ihn immer noch problemlos erreichen, dann surft er mit seinem Telefon im Netz und kundschaftet die Preise seiner künftigen Konkurrenten aus.
Yang repräsentiert eine neue Gruppe von Wanderarbeitern. Auch sie flohen vor der Armut aus ihren Heimatprovinzen, aber ihr Plan ist es nicht, irgendwann zurückzukehren und einen kleinen, bescheidenen Laden aufzumachen.
Yang hat nicht vor, zurückzukehren, er will in Shenzhen bleiben, er mag die Energie dieses Ortes, diese "Yes, I can"-Stimmung, die neben den Frustrationen existiert und die an die Euphorie erinnert, die vor gut zehn Jahren auch in Deutschland zu spüren war, während der New-Economy-Blase.
Yang will möglichst bald selbst Chef sein. Zwei ehemalige Foxconn-Mitarbeiter, zwei seiner Freunde, hätten das geschafft, sagt er. Beide haben eine Firma, und einer ist "sogar Zulieferer von Foxconn", er hat sich gerade ein neues, größeres Auto zugelegt.
Das ist auch der Traum von Yang, und er wird alles dransetzen, diesen Traum zu verwirklichen. Er vertraut auf sich, nicht auf Apple, nicht auf Foxconn. Was Foxconn tun wird oder nicht tun wird, in den nächsten Monaten, im nächsten Jahr, interessiert ihn nicht besonders. Er wird bis dahin wohl weg sein.
Foxconn hat zugesagt, die Überstunden seiner Arbeiter bis zum 1. Juli 2013 drastisch zu senken, auf das gesetzliche Limit von 36 Stunden pro Monat. Foxconn hat auch zugesagt, die Sicherheit der Arbeiter besser zu gewährleisten und Überstunden korrekt zu bezahlen.
Zu den Zusagen sah sich Foxconn gezwungen, nachdem Inspektoren der Fair Labor Association (FLA), einer Arbeiterschutzorganisation aus den USA, die Arbeitsbedingungen in mehreren Werken untersucht hatten. Die Inspektion kam auf Wunsch von Apple zustande. Nach den Selbstmorden und der Explosion im iPad-Werk fürchtete die Firma weitere negative Schlagzeilen und trat, wie zuvor schon Nike, Adidas, H&M und andere Firmen, der FLA bei.
Es war ein kluger Schachzug, nun kann Apple von sich behaupten, der erste große Elektronikhersteller zu sein, der die Wünsche seiner Arbeiter wirklich ernst nimmt, und es ist davon auszugehen, dass andere Hersteller Apple folgen werden. Damit könnte in der Elektronikindustrie ein Prozess beginnen, der im Textilhandel, beim Kaffeeanbau bereits vor 20 Jahren begann und dazu führte, dass in diesen Branchen nun auch fair hergestellte Produkte zu kaufen sind.
Um Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Engagements zu zerstreuen, ließ Apple auch bekanntgeben, dass sich die Firma an den Mehrkosten beteiligen werde, die durch das Reformprogramm bei Foxconn entstehen werden. Die Arbeitsstunden von Tausenden müssen um ein Drittel gekürzt werden. Foxconn rechnet damit, bis zum Sommer 2013 Zehntausende Arbeiter zusätzlich einstellen zu müssen. Sie sollen, so heißt es, wie die bereits Beschäftigten keine Lohneinbußen hinnehmen müssen. In der vergangenen Woche veröffentlichte die FLA einen Zwischenbericht und verkündete, dass Foxconn sich bislang an alle Absprachen halte.
Apple arbeitet also daran, sympathischer zu werden, das ist eine gute Nachricht, aber reicht das? Bislang gibt es vor allem Absichtserklärungen, und daran wird sich wohl auch nichts ändern, bis das neue iPhone auf den Markt kommt. Soll ich es trotzdem kaufen?
Ich fragte Freunde, sie sagten: Ja. Nein. Weiß nicht.
Ich fragte Siri: "Soll ich mir ein iPhone 5 kaufen?" Siri sagte: "Das kann ich nicht beantworten."
Ich werde warten, bis zum Sommer 2013, dann wird die Fair Labor Association einen endgültigen Bericht vorlegen über die Fortschritte bei Apple, bei Foxconn - wenn es denn Fortschritte zu melden gibt. Danach werde ich mich entscheiden.